Die Passionsblume

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Die Passionsblume (Passiflora) ist keine ursprüngliche Pflanze unserer Landschaft. In mehr als 400 Arten kommt sie im subtropischen Südamerika vor, teilweise auch in Asien und Australien. Es sind rankende Stauden, auch Halbsträucher. Unsere Blumengeschäfte bringen hin und wieder die Zimmerpflanze Passiflora caerulea in den Handel. Es lohnt sich, ihr Blühen zu beobachten. Die einzelnen Blumen blühen nur für ca. 24 Stunden. Es ist faszinierend zuzuschauen, wie sich die Blüten entfalten.

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Im 17. Jahrhundert entdeckten spanische Jesuiten diese Pflanze in Südamerika und assoziierten das Erscheinungsbild ihrer Blüten mit der Passion Christi. So kam die Pflanze zu ihrem Namen. 1605 wurde ein Exemplar als Geschenk für Papst Paul V. nach Rom geschickt.

Nun breitete sich die Pflanze in den Gärten des Mittelmeerraumes aus. Der Italiener Ferrarie beschrieb im Jahr 1633 die Bedeutung der einzelnen Blütenteile:

„Der äußere Kelch verlängert sich in Dornen und erinnert an die Dornenkrone; die Unschuld des Erlösers zeigt sich in der weißen Farbe der Blütenblätter; die geschlitzte Nebenkrone erinnert an seine zerrissenen Kleider; die in der Blume befindliche Säule ist diejenige, an welche der Herr gebunden wurde (…); die drei Narben sind die drei Nägel; die fünf Randflächen die fünf Wunden; die Ranken die Geißeln (…).“

Im Jahr 1614 wurde die Decke im Innenraum der Kirche von St. Michael in Bamberg mit vielen verschiedenen Pflanzen bemalt. Darunter auch die Passiflora, die hier jedoch fantasievoll mit richtigem Dornenkranz, Wundmalen und großen Kreuznägeln dargestellt wurde. Offensichtlich war dem Künstler zwar die Bedeutung der Pflanze bekannt, jedoch hatte er sie vermutlich noch nie gesehen. Richtig populär wurde die Passionsblume erst im 19. Jahrhundert.

Der Naturforscher Alexander von Humboldt (1769-1859) bereiste gemeinsam mit dem französischen Botaniker Aimé Bonpland (1773-1858) von 1799 bis 1804 Südamerika. Gemeinsam gaben sie anschließend ein zweibändiges Werk über die Pflanzenwelt in Südamerika in französischer und lateinischer Sprache (1805-1809) in Paris heraus (1).

Die verschiedenen Passionsblumenarten wurden gleich im ersten 1805 erschienenen Band des Werkes mit Abbildungen beschrieben. Die Kaiserin Joséphine ließ in ihrem durch Rosen bekannten Garten auch die Passionsblume kultivieren.

Die symbolische Bedeutung der Blume, die die Attribute des Leidens Christi trug, die sog. „Arma Christi“ (Waffen oder Wappen Christi) lautet:

  • ein rot gesprenkelter Strahlenkranz = die Dornenkrone
  • drei Narben = die Nägel
  • der gestielte Fruchtknoten = der Kelch
  • die Ranken = die Geißeln
  • die Staubblätter = die Wunden
  • die dreilappigen Blätter = die Lanze
  • die fünf Kelch- und fünf Kronblätter = 10 Apostel außer Judas und Petrus
  • die drei Deckblätter = die Dreieinigkeit

Die Blume erfreute sich nun außerordentlicher Beliebtheit in den christlichen Gemeinden aller Konfessionen. Die evangelischen jungen Männer Sachsens konnten im 6. Heft ihrer Verbandszeitschrift im Jahr 1899 folgendes lesen:

„Die Passionsblume (Passiflora incarnata), welche namentlich in Gethsemane jenseits des Kidronthales bei Jerusalem gepflegt wird, ist seit vielen Jahrhunderten in der christlichen Kirche als sinniges Symbol des Leidens unseres Heilandes angesehen worden; sie hat nämlich folgende Gestalt:

Zehn Blätter, groß, weiß, in frischem Zustande von zartem Violet überhaucht, bilden den schönen Kelch. Die bedeuten, so lautet gewöhnlich die Erklärung des freundlichen Mönchs in Gethsemane, die zehn Gebote: den Vorhof zum Heiligtum. Innerhalb des Kelches befindet sich ein goldener Strahlenkranz. Der bedeutet die Sonne des ewigen Lichtes, die in der Weihnacht über die Finsternis der sündigen Welt aufgegangen ist: das Heiligtum.

Im Innersten der Blume aber sieht man in merkwürdiger Ähnlichkeit die Marterwerkzeuge von Golgatha: Hammer, Meißel, Bohrer, Nägel. Die bedeuten Christi Versöhnungsleiden: das Allerheiligste des christlichen Glaubens.

Die Rose des Südens, so hat man die wunderbare Blume genannt, öffnete unverstanden Jahrtausende lang ihren Kelch einem heidnischen Geschlecht. Rätselvoll und dunkel schauten aus der Tiefe die Passionsbilder, eine stumme Blumensprache führend. Erst die Nacht von Gethsemane und der ernste Karfreitag erschlossen der Welt ihren wahren Sinn. Seitdem führt sie von Jahrhundert zu Jahrhundert ihre stumme, sinnige Sprache in der christlichen Kirche.“

Die Kaiserswerter Diakonisse Clara Jurtz, geb. 1850 in Küstrin, schrieb in ihren 80jährigen Lebenserinnerungen über das Sterben einer Schwester in der Außenstation der Kaiserwerter Diakonissenanstalt im Heiligen Land und deren Begräbnisfeier 1879 in Smyrna u. a.:

„Gegen 4 Uhr wurde der weiße Sarg, der wegen der großen Hitze fest geschlossen blieb, von Karatsch in das Pensionat überführt. Wir schmückten ihn mit Myrtenkränzen, Lorbeer und Palmen. Auf den mit breiten Goldleisten umgebenen Deckel wurde ein großes Kreuz von Passionsblumen gewunden, niedergelegt.“

Auf dem Friedhof der Paul-Gerhardt-Gemeinde in Berlin-Schöneberg befindet sich ein altes hohes Grabmal aus rotem Sandstein. Hier hat ein Steinmetz die Passionsblume plastisch dargestellt.

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Die Passionsblume wurde in Text und Bild immer wieder dargestellt, wie z. B. auf Priesterkleidung, Paramenten, in Gebet- und Erbauungsbüchern, auf Buchdeckeln, Konfirmanden- und Kommunionsscheine, Postkarten, Spruchkarten, Andachtsbildchen (Abb. 9 und Abb. 10 und Sterbebildchen), aber auch als Oblaten (Stammbuchbildchen oder auch Glanzbilder; Abb. 3), Vignetten, etc.

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Von Ludwig Richter (1803-1884) ist eine als Holzschnitt vervielfältigte Zeichnung bekannt, die die Passionsblume zu einer Weihnachtsdarstellung zeigt (Abb.4).

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Joseph von Führich (1800-1876) zeichnete eine Maria mit Kind vor einer Passionsblumenstaude. Diese Zeichnung wurde von dem Prager Kupfer- und Stahlstecher Georg Döbler (1788-1845) als Stahlstich umgesetzt. Als Titelbild schmückte es nun ein Marien-, Gebet- und Erbauungsbuch, das in Prag 1845 bereits in 8. Auflage erschien (Abb. 5).

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Der Maler Franz Ittenbach (1813-1879) schuf eine Madonna mit Kind. Das vor stehende Christkind hält in der einen Hand einen Kreuzstab in der anderen eine Passionsblume, die es sinnend betrachtet. Das Gemälde wurde als Druckgrafik vervielfältigt, wie z. B. hier als Kupfertiefdruck Postkarte (Abb. 6).

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Die Darstellung Jesu im Tempel, als Teil einer umfangreichen Weihnachtskrippe in der Wallfahrtskirche Weggental (Rottenburg) zeigt auf dem Fußboden des Tempels einen großen roten mit Passionsblumenranken verzierten Teppich (Abb. 7).

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Beliebt waren Passionsblumenranken auch als Schmuck auf den Konfirmationsscheinen. In meinem Besitz befindet sich ein alter auf Karton aufgezogener, großformatiger, farbiger Schein, der einst gerahmt gewesen war.

Nach einer Vorlage des Künstlers Theodor Schüz (1830-1900) gab ihn der Verlag Ernst Kaufmann in Lahr/Baden als N°1 heraus. In einer neugotischen Architektur sind hier Texte, Symbole und biblische Bilder um den mittleren, auszufüllenden Teil gruppiert. Um die Architekturteile windet sich eine verschlungene Ranke aus Weinstock, Ähren, Rosen und Passionsblumen. Dieser Schein wurde handschriftlich 1924 einer Konfirmandin in Querfurt ausgestellt.

Ein Konfirmationsschein aus Bayern, um ein weiteres Beispiel zu nennen, zeigt nach einer Zeich-nung von Friedrich Wilhelm Wanderer (1840-1910) in der Mitte Christus mit Hostie und Kelch in einem Passionsblumenkranz zu weiteren Bildern und Schriftbändern (Abb. 8).

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Die Passionsblume wurde auch mit Gedichten gewürdigt, vor allem aber in Legenden verewigt. Zwei Legenden sollen deshalb den Abschluss dieser Ausführungen bilden. Walter Schmidkunz (1887-1961) erzählt eine Legende zur Kindheit Jesu aus Italien, die bereits 1922 erstmals veröffentlicht wurde: (2):

„Die Passionsblume

Nach ihrer Flucht ins Ägypterland bewohnte die Heilige Familie eine kleine Hütte nahe der uralten Königsstadt Memphis. Vom Fenster aus sah man weithin über den von Palmen gesäumten schimmernden Nilstrom. Maria hatte Heimweh nach ihrem fernen Nazareth und schaute oft dem Zug der Schiffe nach, die mit hohen Segeln stromauf, stromab vorüberfuhren. Der kleine Jesus sah sich nimmer satt an Wellen und Schiffen und Wolken.

Alle Dinge nannte er beim rechten Namen, mit allen wollte er spielen, waren sie groß oder klein. Aber am liebsten hatte er doch die Blumen. Und weil um Vater Josephs arme Hütte kein Garten blühte, so sprang das Jesuskind, sooft es anging, hinüber ins Blumengärtchen der Nachbarin, die eine Müllerin war. Ein großes Wasserrad mahlte das Korn und schöpfte zugleich ständig Wasser, das den Garten tränkte.

Einmal war Mutter Maria mitgekommen und sie standen nun vor den Blumen, die besonders gepflegt wurden und in irdene Töpfe gepflanzt waren: Oleander und Malven, Nelken, Löwenmaul und Damaszener Rosen. Aber noch keine der Knospen hatte sich geöffnet, weil von den Wüstenbergen her der Wind rauh und kalt ging. Das Jesuskind aber, von der Mutter auf den Arm genommen, streckte das Händchen nach einer von den Blumen aus. Und siehe – da sprang diese auf, wie wenn die Sonne sie geküsst hätte. Aus dem Spalt des sich öffnenden Kelches blitzte schon der Scharlach der Blüte. Ein Lächeln spielte um den Mund des Kindes – o Wunder – da erschloss sich die Blume vollends. Doch – als die Gottesmutter voll Erstaunen die entfalteten Blättchen sah – ach, was musste sie sehen? Winzig kleine Abbilder der sieben furchtbaren Schmerzen, die ihm dereinst bestimmt waren: Kreuz und Martersäule, Hammer und Nägel, Geißel, Dornenkrone und Speer.

Das Jesuskind aber frohlockte über die wunderreiche Passionsblume in seinen Händen, brach sie an langem Stiele ab und steckte sie voll Liebe der Mutter ans Herz. Und sah nicht, wie dieses zitterte und pochte und wie die Mutter blass und bleich stand wie menschgewordenes Leid. Maria drückte ihr allerliebstes Kind noch fester ans Herz, und eine Träne betaute ihre zarte Wange. Die Passionsblume aber, seitdem überall gehegt und gepflegt, bewahrt für alle Zeiten die Erinnerung an die Martern der Passion des Herrn.

(Aus Italien)“

Die andere Legende nacherzählt von Leo Weismantel (1888-1964) hat die Kreuzigung Christi zum Thema (3):

„Die Leidensblume

Es war aber auf dem Berge Golgatha, dass die Henkersknechte den Herren und Heiland an das Kreuz schlugen mit spitzen Nägeln und ihn dann aufrichteten, dass er in den Lüften hing. Da rann das Blut nieder auf die Erde, und die Erde wollte das Blut nicht trinken, sie wollte rein bleiben, und sie nahm das Blut und wandelte es zu einer kleinen roten Blume und hielt diese Blume so wie mit Händen empor, den Menschen entgegen, den sündhaften; lauter kleine, rote Nelken.

Ein Kräutlein aber wuchs dort, eine kleine Ranke am Stamme des Kreuzes, und sie ward so von Jammer und Not ergriffen, als sie den Herren und Heiland leiden sah, dass sie all ihre Kraft zusammennahm sich hinaufzuranken, so hoch nur, dass ihr Geschlinge die Füße des Herrn erreichen und die kühlen Stängel und die kühlen Blätter um das von Wundfieber zerrissene Gebeine legen könne. Und kaum hatte sie dies gewollt, so fühlte sie, wie eine seltsame wundersame Kraft in sie einschoss, und sie wuchs empor, und sie rankte sich um das ganze Kreuz und sie rankte empor, ohne dass die Menschen sie sahen; denn Gott hatte ihre Augen mir Blindheit geschlagen, sie hätten ja sonst die barmherzige Blume zur Erde gerissen. Und so kletterte die Blume empor und drängte sich zwischen das Kreuz, das harte, und den gepeinigten wunden Leib des Herrn, damit sie die fiebernden Gebeine kühle, und stemmte sich zwischen all die Nägel feiner Hände, wollte all die Finger kühlen und das Harte hinwegnehmen. Zuletzt aber wagte es die Blüte dieser Ranke, hinzutasten nach dem Mund des Herren, dem durstigen. Ach, die Rohheit der Menschen hatte ihn mit Essig und Galle getränkt. Nun legte diese Blüte ihre keuschen Blätter auf diese zerrissenen Lippen, des Heilandes Durst zu stillen, und wie es auf dem Wege von Jerusalem nach Golgatha geschehen war, dass der Herr in das Schweißtuch der Veronika ihr zum Lohne und zum Gedächtnis für alle Zeiten sein dornengekröntes Haupt einprägte, so prägte der Heiland nun in die Blume alle Zeichen seines Leidens ein. Noch heute geschieht es, dass diese barmherzige Blume die Zeichen des Leidens ihres Herrn trägt; die Menschen nennen sie die Passionsblume, und wenn sie ihren Kelch vor euren staunenden Blicken öffnet, dann seht ihr ein kleines Kreuz und Spieß und Hammer und Nägel und die Dornenkrone, so wie ihr auf alten Bildern zuweilen die Zeichen und Werkzeuge des Leidens des Herrn seht.”

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Die andere Legende nacherzählt von Leo Weismantel (1888-1964) hat die Kreuzigung Christi zum Thema (3):

„Die Leidensblume

Es war aber auf dem Berge Golgatha, dass die Henkersknechte den Herren und Heiland an das Kreuz schlugen mit spitzen Nägeln und ihn dann aufrichteten, dass er in den Lüften hing. Da rann das Blut nieder auf die Erde, und die Erde wollte das Blut nicht trinken, sie wollte rein bleiben, und sie nahm das Blut und wandelte es zu einer kleinen roten Blume und hielt diese Blume so wie mit Händen empor, den Menschen entgegen, den sündhaften; lauter kleine, rote Nelken.

Ein Kräutlein aber wuchs dort, eine kleine Ranke am Stamme des Kreuzes, und sie ward so von Jammer und Not ergriffen, als sie den Herren und Heiland leiden sah, dass sie all ihre Kraft zusammennahm sich hinaufzuranken, so hoch nur, dass ihr Geschlinge die Füße des Herrn erreichen und die kühlen Stängel und die kühlen Blätter um das von Wundfieber zerrissene Gebeine legen könne. Und kaum hatte sie dies gewollt, so fühlte sie, wie eine seltsame wundersame Kraft in sie einschoss, und sie wuchs empor, und sie rankte sich um das ganze Kreuz und sie rankte empor, ohne dass die Menschen sie sahen; denn Gott hatte ihre Augen mir Blindheit geschlagen, sie hätten ja sonst die barmherzige Blume zur Erde gerissen. Und so kletterte die Blume empor und drängte sich zwischen das Kreuz, das harte, und den gepeinigten wunden Leib des Herrn, damit sie die fiebernden Gebeine kühle, und stemmte sich zwischen all die Nägel feiner Hände, wollte all die Finger kühlen und das Harte hinwegnehmen. Zuletzt aber wagte es die Blüte dieser Ranke, hinzutasten nach dem Mund des Herren, dem durstigen. Ach, die Rohheit der Menschen hatte ihn mit Essig und Galle getränkt. Nun legte diese Blüte ihre keuschen Blätter auf diese zerrissenen Lippen, des Heilandes Durst zu stillen, und wie es auf dem Wege von Jerusalem nach Golgatha geschehen war, dass der Herr in das Schweißtuch der Veronika ihr zum Lohne und zum Gedächtnis für alle Zeiten sein dornengekröntes Haupt einprägte, so prägte der Heiland nun in die Blume alle Zeichen seines Leidens ein. Noch heute geschieht es, dass diese barmherzige Blume die Zeichen des Leidens ihres Herrn trägt; die Menschen nennen sie die Passionsblume, und wenn sie ihren Kelch vor euren staunenden Blicken öffnet, dann seht ihr ein kleines Kreuz und Spieß und Hammer und Nägel und die Dornenkrone, so wie ihr auf alten Bildern zuweilen die Zeichen und Werkzeuge des Leidens des Herrn seht.”

Sigrid Nagy

(1) Voyage aux régions équinoxiales du Nouveau Continent, fait en 1799, 1800, 1801, 1802, 1803 et 1804, par Al. de Humboldt et A. Bonpland: rédige par Alexandre de Humboldt; Paris (F. Schoelt) 1805-1809

(2) Schmidkunz, Walter: Legenden vom Christkind; Rosenheim 2003, S. 81

(3) Weismantel, Leo: Die Blumenlegende; München 1922, u. Kempten 4.-6. Tsd., 1927, S. 91-92